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Brauchen wir eine neue/andere Start-Up/Investoren Kultur?

Viele von uns werden die Frage bezogen auf unsere eigene Volkswirtschaft damit beantworten, dass wir zunächst mal überhaupt eine Start-Up Kultur brauchen, um mit Entrepreneurship und Venture Capital den Erneuerungsprozess unserer Wirtschaft voranzutreiben und unseren zukünftigen Wohlstand zu sichern.

Unsere vor allem familiengeführte, mittelstandsorientierte Wirtschaft hat sich in den Krisen der Vergangenheit als vergleichsweise resilient erwiesen, jedoch in Veränderungsprozessen wie der Digitalisierung auch als behäbig und eher Trends mit Verzug folgend statt Neue zu setzen.

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Für den permanenten Erneuerungsprozess einer Volkswirtschaft braucht es ein gesundes Verhältnis aus Green-Field-Disruption durch Start-Ups, einer Brown-Field-Transformation bestehender Konzerne und KMU’s, ergänzt durch ein ganzheitliches Innovationsmanagement begleitet durch staatliche Rahmenbedingungen und Förderungen.

 

In Deutschland sind ca. 1% der Beschäftigten in Start-/Scale-Ups (jünger als 15 J. und mehr als 1 Mitarbeiter) tätig, im Vergleich zu 5% in Israel und beinahe 10% in den USA (Quelle: rolandberger.com). Umgekehrt ist das Durchschnittsalter der Unternehmen in unserem Leitindex (DAX) über 100 Jahre und damit einer der ältesten weltweit. Ein deutliches Indiz, dass bei uns der Fokus von Erneuerungsprozessen vorrangig auf der Brown-Field-Transformation liegt, was sich bei dem stetig steigenden Tempo an Veränderungen der Rahmenbedingungen (Umwelt, Regulierung, Verbraucherverhalten) als zunehmend zu langsam erweist und den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit mit sich zieht. Dies spiegelt sich auch eindrucksvoll in den jeweiligen BIP-Aufwendungen für die unterschiedlichen Erneuerungsinstrumente wider.

Auf den ersten Blick scheint Deutschland vor allem in den letzten 5 Jahren Fortschritte zu machen: das Gesamt-VC-Volumen ist deutlich wachsend (verdreifacht im Zeitraum), die Zahl der Einhörner (Start-Ups mit einer vorbörslichen Unternehmensbewertung von über 1 Mrd.) und die Zahl der Börsengänge ist angestiegen, wenngleich wir dabei international nur einen Mittelfeldplatz belegen.

Schaut man genauer hin, sieht man, dass die Zahl der Neugründungen im langjährigen Mittel eher stagniert, zuletzt krisenbedingt sogar rückläufig ist, die kumulative Bewertung dieser Unternehmen sich zeitgleich jedoch verfünffacht hat, wobei Zugang zu Mitteln und Bewertung sich zunehmend auf weniger Start-Ups/Scale-Ups konzentriert.

Die Bundesregierung versucht mittels Zukunftsfond den Trend zu mehr Green-Field-Disruption zur dringend erforderlichen wirtschaftlichen Erneuerung weiter zu stimulieren, wobei die großen Versicherungen, Rentenfonds und Unterstützungskassen das Marktsegment des Venture Capital weiter verschlossen bleibt und die Nutzung des Finanzinstrumentes ‚Börse‘ bei uns weiterhin ein stiefmütterliches Dasein fristet (https://www.startupnation-deutschland.de).

Hierbei stand lange der Wunsch nach ‚dem nächsten Facebook‘ aus Deutschland ganz oben auf der politischen Agenda. Sogenannte Einhörner, bei denen man versucht mit riesigen Investitionsklumpen eine Monopolstellung im Markt ‚zu erkaufen‘, sind eher kontraproduktiv für eine funktionierende Marktwirtschaft. In Abwesenheit eines globalen Kartellrechts haben zunächst die großen Digitalunternehmen aus den USA so den globalen Markt erobert. Im Schatten des Scheins der Fabelwesen kamen jedoch auch ein Raubrittertum bei Gründern und Investoren zu uns rüber. Dies macht sich aktuell beim großen Start-Up-Sterben in 2023 verstärkt bemerkbar. Nachdem man COVID 19 mit noch überschaubarem Impact auf junge Unternehmen und zudem diversen staatlichen Hilfsprogrammen gut überstanden hat, trifft die aktuelle Energie- und Inflationskrise Unternehmen mit negativem Cash-Flow umso härter.

Welche neue/andere Start-Up/Investoren Kultur brauchen wir?

Zunächst modellieren viele Start-Ups ihr Geschäftsmodell um die gleiche exponentielle Wachstumskurve – sprich Hockey Stick Performance – herum. Zur Gewinnung der Aufmerksamkeit der Investoren durchlaufen alle die gleiche Schule der Selbstdarstellung, Ehrlichkeit wird u.U. mit Missachtung der VC-Branche abgestraft. Ist die Einstiegshürde genommen, beginnt das Spiel verpasster Zielvorgaben, kompensiert durch noch ambitioniertere Ziele zur Rechtfertigung höherer Bewertungen als Grundlage der nächsten Finanzierungsrunde mit einigen Sollbruchstellen unterwegs, die es zu umschiffen gilt.

Zwischen Gier, Ego und enttäuschter Erwartungen kommt es immer häufiger zum Bruch zwischen Gesellschaftern, Gründern und Gläubigern. Spätestens hier zeigt sich dann das wahre Gesicht eines unregulierten Turbokapitalismus in Raubrittermanier. Kein schmutziger Winkelzug im rechtlichen Graubereich wird ausgelassen, wohl wissend, dass Prozesslaufzeiten die verbleibende Restlebenszeit des Start-Ups überdauern, mit einem nicht zu vernachlässigenden Kollateralschaden in der Branche sowie in der Außenwirkung.

Die Einhorn-Jagd mit der ihr immanenten Blasenbildung ist Basis einer 10x-Kultur: ‚the winner takes it all‘. Die Vorstellung, gigantische Gewinne für Investoren und Gründer in immer kürzeren Zeiträumen wird eine Sogwirkung im Markt auslösen, scheint sich nicht zu erfüllen, was man auch an der Performance entsprechender Fonds ablesen kann.

Die Einhorn-Jagd ist gekennzeichnet durch eine gigantische Zukunftswette, begleitet von Blasenbildung, Marktverdrängung, Monopolstreben, Investitionsbindung, etc. pp. Aus Investorensicht bringt idealerweise 1 aus 10 Investments den 100-fachen Return, wobei die anderen 9 Investments keinerlei Relevanz mehr haben. Dies gepaart mit gesteigerten Sicherungsanforderungen und schwindendem Unternehmertum der Banken hat den Fremdkapitalgebermarkt im Bereich Start-/Scale-Up stark ausgedünnt, wobei die verbleibenden Marktteilnehmer nicht alle seriös sind.

Die somit entstandene Start-Up/Investoren-Kultur bietet nicht Einhorn-tauglichen Geschäftsmodellen nur wenige, bescheidene, meist staatliche Optionen zur Finanzierung, und das Wachstumspotential des wirtschaftlichen Erneuerungsmarktes auch im Sinne eines ökologisch-sozialen Umbaus bleibt stark eingeschränkt. Der Staat nimmt in Deutschland die Rolle des größten VC-Investors ein (siehe https://deutscherstartupmonitor.de ), während die Gründer an Bürokratie und staatlichen Vorgaben verzweifeln.

Mit den zusätzlichen Regularien der EU zum Green Deal und einer zunehmenden Ressourcenknappheit bei Dienstleistern wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Notare, die mit Corona-Hilfen, Energie-Zuschüssen und der aktuellen Insolvenzwelle bei gleichzeitiger Digitalisierungsverweigerung der Behörden bereits völlig überlastet sind, droht das zarte Pflänzlein unseres Start-Up Ökosystem auszutrocknen. Vor allem nicht Einhorn-taugliche Neugründungen haben zunehmend Schwierigkeiten zeitnah ihr Unternehmen registrieren zu lassen, in einem gefühlt permanenten Fund-Raising Prozess aktuelle Bilanzen und Jahresabschlüsse vorzulegen und die Fristen der Veröffentlichung einzuhalten, Zertifizierungen und Förderanträge während ihrer Lebenszeit abzuschließen, etc pp.

Welche Start-Up/Investoren braucht das Land und wie lassen sie sich erzeugen? Ziel muss es sein, mehr Marktteilnehmer am Handel von Eigenkapital-Anteilen profitieren zu lassen, den Zugang zum Fremdkapitalmarkt wieder verstärkt zu öffnen, Regulierungen im Sinne einer fairen Marktwirtschaft in die Anwendung zu bringen, die Rolle des Staates auf das Setzen von Leitplanken, die Entbürokratisierung, mutigere Vergabe von Projekten an Newcomer, Förderungen neuer Technologien, statt Subventionen und Ersatz-Investorenrolle, neu zu justieren.

VC/PE Investments sind unternehmerische Tätigkeiten, nicht nur Geldanlagen!

Für den wirtschaftlichen Erneuerungsprozess der nächsten Dekaden benötigt unsere Volkswirtschaft einen deutlich größeren Greenfield-Disruptionsanteil, um unsere Wettbewerbsfähigkeit und den damit einhergehenden Wohlstand für die kommenden Generationen zu erhalten. Hier ist die Exekutive gefordert Infrastruktur und Leitplanken bereitzustellen. Den größten Impact haben eine Entschlackung und Digitalisierung administrativer und behördlicher Vorgänge. Auf der monetären Seite ist die Rolle des Sicherungsgebers für Dachfondstrukturen, VC-Kapitalgeber und zur Fremdkapitalbereitstellung zielführender als selbst mit allen staatlichen Instrumenten wie KfW, HTGF, Länder-Kapital/-BG/-StartUp in die Unternehmerrolle als größter VC-Investor zu schlüpfen. Staatliche Subventionen wie das Invest-Programm sollten durch steuerliche Absatzmöglichkeiten ersetzt werden und innovative Start-Ups bei staatlichen Ausschreibungen verstärkt berücksichtigt werden. Ansonsten sollte der staatliche Fokus auf Standortattraktivität gepaart mit kontrollierter Migration liegen.

Parallel muß das Investorenangebot in Breite und Tiefe ausgebaut werden, wobei der Eco-System Gedanke im Vordergrund stehen sollte. Neben Business Angel Seed-Finanzierung, VC-Fonds, Family Offices und strategischen PE-Anlegern, hat bei uns Venture Debt, Secondary VC’s und IPO’s noch viel Luft nach oben, um auch wichtigen Eco-System Bausteinen ohne Einhornpotenzial Finanzierungsoptionen anzubieten. In allen Fällen ist der Investor in seiner unternehmerischen Verantwortung gefordert, die Gründer nicht nur finanziell zu unterstützen und sich nicht in eine reine Gläubigerrolle zurückzuziehen. Wir brauchen mehr Evergreen-Investoren, die ein Unternehmen als Mehrgenerationen-Projekt verstehen. Hierbei ist entscheidend neben einem Kundennutzen auch einen Nutzen für Umwelt und Gesellschaft zu entwickeln und darzustellen. Impact Investing (siehe https://impactinvestingindeutschland.de/wp-content/uploads/2022/10/BIII-Markstudie_Impact-Investing-in-Deutschland-2022.pdf ) muß der Regelfall werden.

In diesem Zusammenhang kommt eine interessante, neue Investorenwelle aus den USA zu uns rüber, die des Zebra-Investors, der statt auf Blasenbildung Einzelner auf Synergien zwischen seinen Beteiligungen wettet und damit echte Eco-Systeme baut, wobei die Performance der einzelnen Beteiligung in den Hintergrund tritt. Gemeinsam gilt es ein stetiges, lineares und resilientes Wachstum der Gruppe zu generieren. Erfreulicherweise beginnen Zebra-Investoren bereits heute, VC-Fonds und Einhornjäger zu out-performen, wobei es keine neue Erkenntnis ist, dass langfristige Anlagestrategien der Gier nach schnellen und exponentiellen Gewinnmargen überlegen sind.

Andere Investoren brauchen aber auch andere Gründer, die den Zebragedanken verinnerlichen, den Investor als unternehmerischen Sparringspartner mit Bedacht auswählen und akzeptieren, die Herdenidee eines Eco-Systems unterstützen und die Vision eines generationsübergreifenden Unternehmens in sich tragen, zudem Handlungskompetenzen in den Finanzmärkten entwickeln und eher Generalisten sind.

 

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